Fragen für Interview mit blinder geflüchteter Person

Hey,
entweder ist das eine richtig gute Idee oder kompletter Bullshit hier zu fragen, aber ein Versuch ist es wert :D
Ich halte morgen für eine Studienleistung ein Interview mit einer blinden Person. Die Person ist mitte 30, seit 8 Jahren blind und ist geflüchtet.
Meine Woche war randvoll, weshalb ich mir noch keine Gedanken über Fragen machen konnte, deshalb wollte ich mir die Arbeit von euch abnehmen lassen.
Als Gegenleistung schreibe ich all die Antworten zu euren Fragen hier rein, ihr könnt euch also überlegen, was ihr schon immer mal eine blinde Person fragen wolltet. Die Kombination von blind und geflüchtet bietet sicherlich auch Potential für interessante Fragen.

Grüße

Wie hat die Flucht funktioniert? Er war ja zum Zeitpunkt der Flucht anscheinend schon blind? Hatte er eine:n Vertraute:n?

Vor was ist er geflüchtet? Krieg?

Warum wurde er blind?

Was ist denn das Thema der Studienleistung? Wieso interviewst du die Person?

Bei einem geflüchteten Blinden bieten sich natürlich 3 Frageblöcke mit diversen Subfragen an:

  1. Die Flucht selber (Herkunft, Auslöser, Intention, Route, Erfahrungen etc…)

  2. Besondere Herausforderungen der Flucht durch die Blindheit

  3. Vergleich Vorstellungen vor der Flucht vs Realität in Deutschland und Vergleich Leben als Blinder vorher/nachher

Fragen sollten möglichst offen gestaltet sein und nur den Themenblock/die Richtung grob vorgeben, sodass der Interviewte auch Spielraum für seine Antwort hat und du flexibel nachfragen kannst. Trotzdem solltest du dir einen Interviewleitfaden machen, damit das Interview nicht aus dem Ufer läuft und du deine Fragen auch beantwortet kriegst.

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Vergleich der Behandlung (medizinisch und menschlich) zwischen Syrien und Deutschland (im Bezug auf die Behinderung).

Wie hat sie sich in den acht Jahren in Deutschland einleben können? Was hat sie beruflich in Syrien gemacht und was macht sie jetzt?

Wir müssen als Studienleistung eine Reportage über ein beliebiges Thema schreiben. Einzige Vorgabe ist ein lokaler Bezug. Ich wohne in Marburg und hier gibt es in ganz Deutschland die meisten Menschen mit Sehbehinderung, deshalb kam mir die Idee über das Leben als blinde Person in Marburg zu schreiben. Eigentlich wollte ich einen blinden Studenten interviewen, aber es hat sich nur diese eine Person auf meine Anzeige gemeldet. Im Endeffekt bietet diese Person aber auf Grund der Flucht das Potenzial für eine viel interessantere Geschichte. Was der Fokus des Interviews und letztendlich der Reportage sein wird, ergibt sich vermutlich während des Interviews.

Deine Punkte helfen mir auf jeden Fall schon mal sehr weiter, vielen Dank dafür!

Danke auch schon mal an die anderen Beiträge, ist alles notiert und wird beantwortet :)

Wie sieht er die Entwicklung im nahen Osten?

Gar nicht?
(Sorry, Steilvorlage)

Spannendes Thema. Bin auf die Antworten gespannt.

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Du könntest nach rassistischen & diskriminierenden Erfahrungen fragen, z.b. in Gesellschaft aber auch mit den Behörden. Die Person ist aufgrund des Fluchthintergrunds und der Sehbehinderung ja besonders betroffen.

Auch wären Themen wie Sprache erlernen interessant. Auch vorsichtige Fragen zur eigentlichen Flucht als blinde Person.

Generell würde ich versuchen, die Fragenauswahlaufgrund des Triggerpotentials sensibel zu halten.

Die spannendste Frage die dir einfällt sind rassistische Erfahrungen in Behörden?!

Würde fragen ob und wie es bei der Integration unterstützt wird. Wir sich dein Leben in Deutschland verändert hat. Ob er sich in der Gesellschaft aufgenommen und „angekommen“ fühlt.

Das es die „spannendste“ ist habe ich doch nicht gesagt. Ich finde es eine wichtige Frage, weil es Probleme und Erfahrungen sichtbar machen kann, die es leider zuhauf gibt. Zumindest habe ich das in meiner eigenen Arbeit so mitbekommen.

Also Aussagen über diskriminierende Erfahrungen müssen schon aus eigenem Antrieb kommen. Würde keine Suggestivfrage stellen oder zumindest nur nachhaken, wenn es Anzeichen dafür gibt. Da musst du eher neutrale Fragen über die Erfahrungen hier stellen, sonst produzierst du dir deine Ergebnisse selber

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Nachfragen ist kein suggestives Fragen. Geflüchtete Menschen werden in Deutschland diskriminiert. Menschen mit Behinderungen werden in Deutschland diskriminiert. Der Asylprozess ist ätzend. Nachfragen ist nicht nur logisch, sondern kann auch ermächtigend und ermutigend sein, denn von alleine trauen sich viele Menschen nicht das unsichtbare auch sichtbar zu machen. Scham kann zum Beispiel eine Rolle spielen. Wer auf Nachfragen eine Antwort erhält, baut sich ja per Definition „seine Geschichten nicht selber“, sondern zeigt auf, was da ist. Wenn nichts da ist, was unwahrscheinlich ist, wäre ja alles toll. Merkwürdig, dass ihr euch hier so schwer tut. Ist nun mal die Lebensrealität für viele, und denen sollte man immer zuhören.

Naja du konstituierst ja mit deiner generalisierenden Aussage schon eine vermeintliche Faktenlage, die so vielleicht gar nicht flächendeckend vorfindbar ist. Zudem ist Diskriminierung in erster Linie einmal eine subjektive Erfahrung und Wahrnehmung, die somit also von jedem Menschen auch unterschiedlich wahrgenommen und bewertet wird. Wenn du also direkt nach diskriminierenden Erfahrungen fragst, dann ist das eine Suggestivfrage, die den Interviewten hinsichtlich deiner gewünschten Ergebnisse beeinflusst. Exakt das möchte man in einem wissenschaftlichen Interview nicht, hier steht die Lebensrealität des Interviewten mit seinen eigenen Wertungen und Werten im Vordergrund

Die Fragen sollten daher weiterhin sehr offen gestellt werden und in Nachfragen sollten keine Wertungen durch den Interviewer erfolgen, sondern eher die persönlichen Bewertungen durch den Interviewten im Vordergrund stehen (Ganz typisches Vorgehen auch bei wissenschaftlichen Interviews btw. Es geht darum die Weltsicht, Deutungen, Bewertungen, Charakterzüge, Werte, Notmen etc des Interviewten darzulegen).

Im Nachgang bei der schriftlichen Auswertung kann man dann natürlich offensichtliche Diskriminierung auch formulieren. Aber im Interview sollte man den Interviewten sehr neutral nach seinen persönlichen Erfahrungen z.B im Prozess mit den Behörden fragen. Anschließend dann nach seiner Bewertung und Einordnung der Erfahrungen. Vielleicht auch im Vergleich zu seinem Herkunftsland. Man braucht ja eine möglichst „objektive“ Datenlage, die man dann bei der Auswertung (subjektiv) einordnet und bewertet

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Alsooo, das Interview hat gestern stattgefunden. Leider war es auf Grund begrenzter Deutschkenntnisse (er macht gerade einen B2-Deutschkurs) an vielen Stellen recht schwer ihm zu Folgen. Ich habe das Interview aufgenommen und muss mir das auf jeden Fall noch mal anhören, um so manches zu entschlüsseln.

Der Grund seiner Erblindung ist, dass er sich gegen das Regime in Syrien gestellt hat und wohl von Soldaten angeschossen wurde. Die genaue Situation konnte ich zum einen auf Grund der Sprachbarriere, zum anderen wegen seiner offensichtlichen Schwierigkeiten darüber zu sprechen, nicht ganz nachvollziehen. Ich habe die Situation und die Flucht dann auch bewusst außen vorgelassen, da ihm das Thema nicht leicht viel und ich überhaupt keine Erfahrung habe dort mit einer gewissen Sensibilität vorzugehen. Für ein paar wenige Leistungspunkte erschien mir das Ganze dann auch nicht nötig.

Daher habe ich mich doch, wie ursprünglich geplant, auf das Leben als blinde Person in Marburg konzentriert, was für euch natürlich nicht ganz so interessant ist.

Was ich aber noch zum Ablauf der Flucht verstanden habe, ist, dass er keine ausreichende medizinische Versorgung in Syrien erhalten hat und dann mit gefälschten Papieren in den Libanon gegangen ist, um sich dort behandeln zu lassen. Er ist dort aber mit dem gefälschten Pass aufgeflogen und ging für zehn Tage in Gefängnis, bis er wieder nach Syrien gelassen wurde. Von dort ging es dann erstmal in die Türkei, bis das Deutsche Konsulat entschieden hat, ihn nach Deutschland zu lassen.

Soweit ich das richtig verstanden habe, hätte er bei einer früheren medizinischen Versorgung nicht das Augenlicht verloren und wenn er nicht in den Libanon geflohen wäre, wäre er sogar ums Leben gekommen.

Auf Grund der Sprachbarriere war es auch kaum möglich tiefergehend über Diskriminierung in Behörden oder Gesellschaft zu reden. Er hat zumindest in Marburg bisher keine Erfahrungen damit gemacht, ihm war aber wohl bewusst, dass das hier auch eine sehr linke Bubble ist. Es gab allerdings einen Überfall auf dem Weg zu einer Schule für Sehbehinderte, bei dem sein Portemonnaie gestohlen wurde. Die Polizei konnte den Täter aber in der folgenden Woche durch einen Polizisten als getarnten Blinden ertappen.

Ansonsten hat die Person bis zu der Erblindung Jura studiert und schien trotz begrenztem Wortschatz sehr gebildet.

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Danke für dein Beitrag.

Wir hatten mal einen Praktikanten in der Firma, der ist mit seinem Bruder nach Deutschland geflüchtet wegen dem Krieg in Syrien. Seine Eltern wohnen immer noch in Syrien … ihm war es auch sehr schwer gefallen darüber zu reden. Er hat auch nie davon gesprochen, außer 1x als wir nachmittags alleine im Büro waren. Da habe ich bissl nachgehakt, aber ich habe gemerkt, dass es ihm schwer fällt und dann habe ich es sein gelassen. Er skypet regelmäßig mit seinen Eltern. Die Umstände sind echt schlimm.

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Meine Mutter betreut seit Jahren Migrantenkinder an der Grundschule und hilft vielen auch privat, um den Einstieg ins Schulsystem zu ermöglichen. Mit einem syrischen Flüchtling sind wir was enger befreundet und meine Mutter hat auch mitgeholfen ihn durch die Schule und in eine Ausbildung zu kriegen. War eine zeitlang wie so ein Ziehsohn. Was der mitgemacht hat ist auch unbeschreiblich. Seine Eltern waren/sind Ärzte in Syrien und wollten das Land verlassen.

Das Assad-Regime hat daraufhin die Kinder vorbeugend in Haft genommen und gefoltert, da Ärzte benötigt wurden. Anschließend haben die Eltern sich verpflichtet in Syrien zu bleiben und die Kinder aus dem Land geschmuggelt. Unser Bekannter ist als junger Jugendlicher alleine mit Verwandten auf die lange Flucht gegangen und hat natürlich auch da unsägliche Erfahrungen gemacht, bevor er hier angekommen ist. Die anderne Geschwister sind über Europa verstreut. Die ethnischen Spannungen unter den ganzen traumatisierten Migranten im Camp hier ist für junge Leute natürlich auch ganz hart. Zudem die ständige Angst um alle Angehörigen weltweit da ist. Kann man sich gar nicht vorstellen.

Habe dann früher auch mitgekriegt, wie schwer die Integration hier ist. Auf so vielen Ebenen, zumal auch die Eltern fehlen und keine Sprachkenntnisse vorhanden sind. In der Grundschule sprechen die Kinder alle immer nur von Krieg, oder getöteten Eltern oder nässen sich ein und suchen überall Schutz… Als unser Bekannter etwas älter war, ging es um irgendwelche Sozialleistungen für Flüchtlinge und meine Mutter hat ihn zum Orthopäden begleitet. Der sollte die Folterschäden irgendwie dokumentieren. Der hatte dann nachher Tränen in den Augen, weil es wohl so schlimm war und man gezielt Gelenke und Organe langfristig verkrüppelt hat …

Naja, immerhin hat sich unser Bekannter ganz gut sozialisiert, eine Ausbildung geschafft, im Kampfsport und Tanz eine Leidenschaft gefunden die er auf dem F
Dorf unterrichtet und wohnt alleine. Aber ganz ehrlich, ohne Integrationshilfe durch Deutsche ist das extrem schwer.

Kann bzw die Dokus zum Syrienkrieg empfehlen:

For Sama
The Cave
Die zerrissenen Seelen der Kinder

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